Prof. Singer: Abfrage-Folter

Abfrage-Folter: Gewalt durch kränkende Lehrer-Bemerkungen

 

Mit dem quälerischen Abfrage-Zeremoniell bricht ungehindert Lehrer-Aggressivität über Jugendliche herein, nicht versteckt, sondern öffentlich. Die heimliche Gewalt verbirgt sich in der Umgebung. Kein Ethiklehrer sagt dem verächtlichmachenden Kollegen, dass dieser ethische Grenzen überschreitet: Wo doch Ethik der Bruch mit der Gleichgültigkeit ist, die Möglichkeit des Einer-für-den-Andern. Alle schauen weg; Schulbehörden lassen persönlichkeitsverletzendem Treiben freien Lauf. Sie überwachen eher freiheitlich denkende Lehrer. Die Kinderfeindlichkeit drückt sich in dem Satz aus: »Das sind ja nur Einzelfälle.« Als bestünde die Achtung vor der Würde des Menschen nicht darin, jedes Kind in seinen Persönlichkeitsrechten zu schützen.

Die achtungsvolle, gewaltlose Beziehung ist Thema vieler Gespräche, die ich mit Jugendlichen führe. Sie meinen, Verächtlich-Machen gehöre zum Schulalltag: »Unmöglich, jetzt hast du das immer noch nicht kapiert.« – »Wie dumm du dich wieder anstellst!« – »Deutsch scheint nicht gerade deine Stärke zu sein.« – »Eine so miserable Lateinklasse hab ich noch nie erlebt.« – Worte können töten: das Vertrauen und die Lernfreude. Es ist der Hochmut der Mittelmäßigkeit, in dem einzelne Lehrer Kinder als minderwertige Wesen behandeln, um sich selbst aufzuwerten. Und alle lassen es zu.

Keinesfalls verallgemeinere ich Einzelbeispiele destruktiven Lehrerverhaltens. Seit Jahrzehnten arbeite ich wöchentlich mit Lehrerinnen und Lehrern in Gruppen und in Einzelberatung; ich begleite mit Respekt deren pädagogisches Engagement. Die demütigenden Lehrer sind der Rede wert, weil es sich um viele Kinder handelt, die von der Wortgewalt weniger Lehrer geschädigt werden. Lehrer, die ihre Macht missbrauchen, wirken zudem als Krankheitserreger in das Schulsystem hinein.