Prof. Singer: herabsetzende Lehrerworte

Sebastian wird vom Gift herabsetzender Lehrerworte krank gemacht


Der Schüler fühlte sich von der geringschätzigen Frage des Lehrers verfolgt: »Was hast du denn auf dem Gymnasium zu suchen?« – Solch ausstoßende Worte bedrohen Kinder mit dem Verlust der Zugehörigkeit; sie wirken wie Gift: »Gift, das du unbewusst eintrinkst und das seine Wirkung tut«, schreibt der Philosoph Victor Klemperer: »Sprache kann aus giftigen Elementen gebildet oder zu Trägern von Giftstoffen gemacht werden. Worte können sein wie winzige Arsendosen. Sie werden unbemerkt verschluckt, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.« Manche Menschen leiden lange Zeit unter winzigen Arsendosen, die ihnen Lehrer durch herabsetzende Worte verabreichten.

Sebastian galt in der Grundschule als interessierter Schüler. Auf dem Gymnasium verlor er durch den herabwürdigenden Lehrer allen Mut. Der Oberstudienrat liest bei jeder Aufsatzbesprechung mangelhafte Arbeiten vor, ohne die Jugendlichen um Erlaubnis zu bitten. Er sucht missglückte Sätze heraus und stellt Kinder namentlich bloß. Wenn er Klassenarbeiten heraus gibt, gleicht das einem Schauprozess: es geschieht in der Reihenfolge der Zensuren, begleitet von ironischen Kommentaren. Es ist die personale Gewalt durch Worte, eingebettet in die heimliche Gewalt; denn: Kein Deutschkollege empört sich öffentlich über die psychische Folter. Durch diese lernen Schüler nicht Aufsatzschreiben; sie lernen, wie man Menschen mit Schwächen an den Pranger stellt. Wo doch Schreiben auf Beziehung aufgebaut ist, ein Ausdrucksmittel, das sich an den Anderen richtet. – Alle im Schulhaus sind daran beteiligt, dass der Oberstudienrat die Grundrechte außer Kraft setzen darf. Oder stimmen Sie Erich Kästners Satz nicht zu: »An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der schuld, der es begeht, sondern auch der, der es nicht verhindert.« Sebastian schreckt wegen des gewalttätigen Lehrers nachts auf, bringt beim Frühstück kaum einen Bissen hinunter. In seinen Kopfschmerzen wurde der ihm angetane psychische Schmerz zu körperlichem Schmerz. »Das Kind ist zu sensibel«, hieß es. Stößt die Schule feinfühlige Menschen aus? Oft scheint es so.