Bildungsmisere

 

Jürgen Kluge 

 

Schluss mit der Bildungsmisere

 

Ein Sanierungskonzept

 

Mit dem sachlichen Blick des Unternehmensberaters zeigt Jürgen Kluge, warum unser Bildungssystem heute nur noch Mittelmaß und obendrein soziale Ungleichheit produziert. Ein Turnaround ist nötig, wenn sich Deutschland im internationalen Wettbewerb behaupten will, da reicht es nicht, vom Staat nur mehr Geld oder mehr Lehrer zu fordern. Wenn wir unser Bildungssystem sanieren wollen, werden wir nicht umhinkönnen, die Strukturen des gesamten Bildungsbereichs zu verändern. Jürgen Kluge legt hier einen ebenso konkreten wie fundierten Handlungskatalog vor.

(Zitat: http://www.campus.de/sachbuch/politik/Schluss+mit+der+Bildungsmisere.84315.html)

Hier gibt es auch die folgende Leseprobe, in der Jürgen Kluge, ein erfahrener und führender Unternehmensberater mit zusätzlich hohen Posten in der Führung großer Unternehmen und Honorarprofessor, schon 2002 deutlich macht, wie sehr er die Nase voll hat von der Situation in unserem Bildungssystem, das der Wirtschaft unnötig viel schadet:

"Ich stehe einem Unternehmen vor, das professionell in der Beratung von privatwirtschaftlichen Firmen und von Institutionen engagiert ist. Ich selbst habe lange Jahre in der Automobilindustrie beraten. Da mag der Verdacht nahe liegen, dass es mir weniger um Bildung als um betriebswirtschaftliches Kalkül, weniger um die Kompetenzen des Homo sapiens als um die Zurichtung des Homo oeconomicus, weniger um die Gesellschaft als um den Wirtschaftsstandort Deutschland und volkswirtschaftliche Investitionen gehen könnte. Oder warum zerbricht sich ausgerechnet einer wie ich den Kopf über die Welt des Lernens und Lernenswerten? Ist da nicht ohnehin nur wieder die übliche Position der Wirtschaft zu erwarten, die auf geschmeidig in die Arbeitswelt sich einfügende Nachwuchskräfte schielt? Schlimmer noch: Will hier einer unter dem Schafspelz der Bildung jetzt auch noch der Schule die Gesetze des Marktes aufoktroyieren und unsere Bildungskultur dem Diktat der Ökonomie opfern?

Ich würde mich selbst verleugnen und wäre ein schlechter Manager und Berater, würde ich das deutsche Bildungswesen mit kalter Gleichgültigkeit und frei von allen internationalen Wettbewerbsbedingungen sehen. Denn heute gilt mehr denn je: Bildungsarmut erzeugt Wachstumsarmut. Ob ein Land erfolgreich wirtschaftet oder nicht, hängt immer stärker von der Bildung seiner Bürger ab: Das Humankapital Bildung entscheidet darüber, welche Volkswirtschaften sich im globalen Wettbewerb behaupten können, erst recht in einer alternden Volkswirtschaft wie der unseren, die viel verbraucht, aber wenig Neues kreiert. Den demographischen Sinkflug, in dem sich die deutsche Bevölkerung befindet, werden wir durch erhöhte Produktivität wettmachen müssen, sonst droht uns allen gesellschaftliche Armut, am schärfsten jenen, die auf ein gerechtes Sozialsystem angewiesen sind.

Dazu brauchen wir Kreativität und Einfallsreichtum – wie anders als durch Bildung und Erziehung zu selbstständigem Denken und Handeln sollen diese entstehen können?

 

Wir brauchen alle Talente,

kein einziges dürfen wir

durch ein mangelndes Bildungsmanagement

verschleudern.

 

Ich möchte in diesem Buch nicht zuletzt zeigen, wie überholt und wirklichkeitsfremd der vermeintliche Gegensatz ist – Kultur und Bildung auf der einen Seite, stets bedroht von den Imperativen der anderen Seite, der kalten Ökonomie. Diesen Gegensatz hat der globale Arbeitsmarkt längst hinter sich gelassen. Wir brauchen in der einen wie in der anderen Welt den selbstständig denkenden und handelnden, den phantasiebegabten Generalisten, der sich in der griechischen Antike ebenso gut auskennt wie in der modernen Physik, in der klassischen Literatur wie in den Weiten des Internets; der den Erfolg sucht, aber auch von Niederlagen nicht zu Boden gedrückt wird, denn auch diese hält das Leben bereit; der ein politisch aufgeschlossener und interessierter Mensch ist und über den eigenen Tellerrand zu schauen weiß; der ein Standbein und ein Spielbein hat – Homo sapiens und Homo ludens – und sein Wissen tätig anzuwenden weiß: Homo faber. Um den oder die geht es mir, wenn ich den Steckbrief einer gebildeten Persönlichkeit zeichnen sollte. Wie aber entstehen solche Persönlichkeiten?

Bildung lässt sich bekanntlich nicht erzwingen, nicht verordnen – Bildung kann man sich nur selbst erarbeiten. Anstrengungsbereitschaft, Disziplin, Lust, Motivation und Ehrgeiz gehören dazu. Dazu müssen wir geeignete Bedingungen schaffen. Das wird uns allen viel abverlangen. Unsere Bildungseinrichtungen jedenfalls können ihren Auftrag in ihrem gegenwärtigen Zustand offenkundig nicht mehr erfüllen.

Wenn wir daran etwas ändern wollen, müssen wir vor der Schule ansetzen. Wer die Erkenntnisse der Bildungs- und Hirnforschung ernst nimmt, muss seine Aufmerksamkeit auch der vorschulischen Bildung widmen und die Kindergärten unter die Lupe nehmen. Gerade dort haben manche falschen Weichenstellungen ihren Ursprung. Kinder sind besonders in ihren frühen Lebensjahren hochtourige Lerner, sie wollen lernen. Die Skulptur des Gehirns – und mit ihr die der Persönlichkeit – wird früh geprägt, und zwar in einem komplexen, erfahrungsgesteuerten Dialog zwischen genetischen Instruktionen und Erfahrungen, die in einer aktiven, selbsttätigen Auseinandersetzung mit der Umwelt gemacht werden. Wird diese Auseinandersetzung gestört oder behindert, bleiben »blinde Flecken« zurück. Manchmal sogar buchstäblich. Wer in frühen Lebensjahren unter einer eingetrübten Hornhaut leidet, erhält das volle Sehvermögen auch nach erfolgreicher Transplantation einer gesunden Hornhaut nicht mehr zurück. Die neue Hardware kann den bereits entstandenen Schaden der Software im Nachhinein nicht mehr kompensieren. Die notwendigen Nervenverbindungen sind verkümmert, sie wurden nicht gebraucht und wieder eingeschmolzen. Das Zeitfenster des Lernens hat sich wieder geschlossen.
Und wir lassen das zu.[...]"

 

==> In der folgenden PDF-Leseprobe wird seine berechtigte Kritik ebenfalls deutlich:

"Bildungsmisere: Wunder gibt es immer wieder ..."

Zitat: http://www.mckinsey.de/downloads/publikation/buecher/2003/buecher_bildungsmisere_kap_1.pdf